Vom Ende der Einbildung:
Neurobiologische Forschung verändert das Weltbild
Köln. Vor allem Schmerzpatienten
sollten sich gegen Sätze wie „Da ist nichts“ oder „Das ist psychisch
überlagert“ wehren. Wie die moderne neurobiologische Forschung zeigt,
finden sich in den beteiligten Nerven sehr wohl Engramme. Sie zeichnen
mit dafür verantwortlich, wenn jemand nach einer schmerzhaften Geburt im
weiteren Verlauf seines Lebens besonders „schmerzempfindsam“ wird. Ein
solches auch im peripheren Nerven angelegtes „Schmerzgedächtnis“ lässt
sich nicht durch kurzfristige Gabe von Analgetika löschen. Vielmehr
bedarf es dazu oft einer mehrmonatigen konsequenten Behandlung. Ihr
stehen jedoch nicht nur viele Patienten und Ärzte, sondern auch auf
Sparsamkeit bedachte Gesundheitspolitiker skeptisch gegenüber. Dieses
Dilemma und faszinierende neurobiologische Erkenntnisse der
Grundlagenforschung beschrieb Prof. Dr. Walter Zieglgänsberger (München)
auf dem Kölner „Impulstag“ am 19. Februar 2000. Die von Pharmacia &
Upjohn (Erlangen) für Nervenärzte aus Klinik und Praxis organisierte
Veranstaltung bildete den Auftakt für weitere „Impulstage“. Mit ihnen
eröffnet der Erlanger ZNS-Spezialist ein Forum, von dem Impulse in
Richtung Forschung, modernes Praxismarketing und Gesundheitspolitik
ausgehen können.
Wie Prof.
Zieglgänsberger veranschaulichte, führt wiederholtes Reizen einer
Nervenzelle dazu, dass sie nach dem 150. Mal spontan selbst Impulse
sendet. Dabei verändert sich nicht nur die Zellmembran, auch der
Zellkern ist beteiligt und wird zur Genexpression veranlasst. Schmerz
führt somit nicht nur zu funktionellen, sondern immer auch zu
strukturellen Veränderungen. Im Extremfall kann sogar der Zelltod
eintreten, wenn eine Nervenzelle über längere Zeit ungeschützt von
Schmerzreizen bombardiert wird. Durch ständige Schmerzreize dauerhaft
„hochgefahrene“ Nervenzellen können ihr Schmerzgedächtnis nur dann
wieder verlieren, wenn sie ausreichend lang erregungshemmenden
Substanzen ausgesetzt werden. Vorher stellen sich die erforderlichen
strukturellen Veränderungen nicht ein. Dass eine Therapie wirksam sein
soll, wenn sie monatelang keinen Effekt zeigt, ist für Laien jedoch
nicht so leicht einzusehen. Dies gilt für Gesundheitspolitiker um so
mehr, wenn es sich auch noch um besonders teuere Medikamente handelt.
Ähnliche Überlegungen dürften auch für andere Erkrankungen gelten, bei
denen sich Wirkungen meist erst nach einer gewissen Zeit abzeichnen (wie
z.B. die Depression oder die Demenz).
Und noch eine weitere
faszinierende neurobiologische Erkenntnis deutete der am
Max-Planck-Institut für Psychiatrie tätige Forscher an: Nicht alle
Eigenschaften des Schmerzerlebens werden im Zentralnervensystem an
gleicher Stelle kodiert, die Intensität des Schmerzes zum Beispiel an
einem anderen Ort als das Unangenehme des Schmerzerlebens.
Möglicherweise wird es daher schon bald Substanzen geben, die selektiv
nur das Gefühl des Unangenehmen beseitigen. Unterschiede in der
Schmerzintensität könnten dann weiterhin wahrgenommen werden, womit der
wichtige Signalcharakter des Schmerzes erhalten bliebe. |
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